Die 67. Gewerbliche Winterkonferenz fand vom 13. bis zum 15. Januar 2016 in Klosters statt und setzte sich mit der alternden Gesellschaft und den Folgen auseinander. Beleuchtet wurde die bedeutsame Thematik aus drei speziellen Blickwinkeln: Die Bildung, die Altersvorsorge und der Arbeitsmarkt.
Eröffnet wurde die Winterkonferenz durch sgv-PrĂ€sident Jean-François Rime, der im heissen Stuuhl Patrik MĂŒller, Chefredaktor der Schweiz am Sonntag, Red und Antwort stand und sich speziell zu den wichtigen Herausforderungen in der neuen Legislatur Ă€usserte.
Am Donnerstag Vormittag fokussierten sich die Referate auf den Aspekt der Bildung, der Lehre und der höheren Berufsbildung. Abgeschlossen wird der Morgen durch eine Podiumsdiskussion mit Bildungsexperten.
Am Donnerstag Abend stand der Aspekt der Altersvorsorge im Vordergrund. Frank Uwe SchĂ€ffler (Denkfabrik Prometheus, Berln / ehem. Bundestagsmitglied FDP) gewĂ€rte einen Blick auf die Situation in Deutschland . Nach der aktuellen StandÂortÂbestimmung durch sgv-Vizedirektor Kurt Gfeller setzte sich ein Podium mit der Frage "Altersreform 2020 - wer soll das bezahlen?" auseinander (Moderation Dominik Feusi, Basler Zeitung).
Die 67. Gewerbliche Winterkonferenz des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv im Silvretta Parkhotel in Klosters ist eröffnet. Bis zum Freitag, 15. Januar werden die alternde Gesellschaft und ihre Folgen Thema der dreitÀgigen Veranstaltung mit Spitzenvertretern der kantonalen VerbÀnde, der BranchenverbÀnde und der nationalen Politik sein.
Auf dem âHeissen Stuhlâ stellte sich sgv-PrĂ€sident Nationalrat Jean-François Rime zum Auftakt den Fragen von Patrick MĂŒller, Chefredaktor âSchweiz am Sonntagâ. Gefragt nach seinen WĂŒnschen fĂŒrs neue Jahr sagte Rime, als erstes mĂŒsse am 28. Februar ein JA zur zweiten Röhre am Gotthard erreicht werden. Die Abstimmung sei fĂŒr die Schweiz nicht nur deshalb wichtig, weil es um den Zusammenhang des Landes gehe. âWir dĂŒrfen nicht das Tessin ĂŒber Jahre vom Rest der Schweiz isolieren!â Die von den Gegnern verlangten gigantischen Verladestationen wolle niemand, und âdie dafĂŒr nötigen Investitionen wĂ€ren verlorenes Geldâ.
Zu den Herausforderungen der neuen Legislatur zÀhlt der GewerbeprÀsident die Altersreform 2020, die Unternehmenssteuerreform III, die Energiestrategie 2050 und die Frage, wie die Schweiz die MobilitÀt sicherstellen kann.
Ein Jahr nach der Aufhebung des Euro-Mindestkurses stellte Rime fest, dass ânicht der Franken stark, sondern der Euro schwachâ sei. Die Mitglieder des Dachverbands sgv seien unterschiedlich stark von den WĂ€hrungsturbulenzen betroffen. Umso wichtiger sei der Kampf des Gewerbeverbands zur Senkung unnötiger Regulierungen. Dazu mĂŒsse beim Staat â und zwar auf allen Ebenen â ĂŒberall dort gespart werden, wo dies möglich sei. Das nach rechts gerĂŒckte neue Parlament biete die Chance, Mehrheiten fĂŒr eine Verbesserung zugunsten der KMU und des Gewerbes zu finden, gab sich Nationalrat Rime ĂŒberzeugt.
Schwerpunktthemen vom Donnerstag, 14. Januar, sind Bildung und Altersvorsorge. Zum Auftakt wird Tagesanzeiger-Kolumnist und Gymnasiallehrer Andreas Pfister âkonstruktive Kritik an der heiligen Schweizer Kuh Berufslehreâ ĂŒben â und dafĂŒr plĂ€dieren, den Graben zwischen Lehre und Gymnasium zu verkleinern. Die Sicht der Praxis einbringen werden VSEI-Direktor Simon HĂ€mmerli und Unternehmer Livio Corduri, bevor sgv-Vizedirektorin Christine Davatz mit Pfister, HĂ€mmerli, SBFI-Direktor Josef Widmer und travailsuisse-PrĂ€sident Adrian WĂŒthrich auf dem Podium die Klingen kreuzt.
Als âBlick ĂŒber den Tellerrandâ angekĂŒndigt ist das Referat zur Situation der Altersvorsorge in Deutschland. Referent Frank Uwe SchĂ€ffler (FDP) war Mitglied des Deutschen Bundestages und ist heute GeschĂ€ftsfĂŒhrer der Denkfabrik Prometheus in Berlin. Das Freiheitsinstitut Prometheus widmet sich der Verbreitung freiheitlichen Denkens und hat zum Ziel, den Wert der Selbstverantwortung in der Gesellschaft zu stĂ€rken.
Nach einer aktuellen Standortbestimmung von sgv-Vizedirektor Kurt Gfeller werden zur Altersreform 2020 diskutieren: Die NationalrÀte Thomas de Courten (SVP) und Hans-Ulrich Bigler (FDP/Direktor sgv), NationalrÀtin Ruth Humbel (CVP) sowie StÀnderat Paul Rechsteiner (SP).
Der Arbeitsmarkt der Zukunft steht am Freitag im Zentrum des Interesses. Professor Andreas Beerli von der KOF ETH ZĂŒrich wird Chancen und Risiken beleuchten und swissstaffing-Direktorin Myra Fischer-Rosinger geht der Frage nach, inwiefern der vielseits beklagte FachkrĂ€ftemangel âRealitĂ€t oder Mythosâ ist.
In der anschliessenden Podiumsdiskussion wird der Arbeitsmarkt aus Sicht von Arbeitnehmenden, Experten, Unternehmern und Politik betrachtet. Teilnehmen werden Vania Aleva (PrĂ€sidentin Gewerkschaft unia), Gian-Luca Lardi (Unternehmer und PrĂ€sident Schweizerischer Baumeisterverband), Michel Pernet (PrĂ€sident Verband Kreativwirtschaft Schweiz) und Oliver Rosa, BegrĂŒnder der Swiss Music Awards.
Fundierte Ausbildung, erfolgreiches Unternehmertum und Gesundheit im Alter: Dies alles vereint der 75-jĂ€hrige Schweizer Fitnesspapst Werner Kieser. Unter dem Titel âVom Schrottplatz zum Konzernâ wird der ZĂŒrcher zum Abschluss von âKlosters 2016â auf der Madrisa aufzeigen, wie Schweiss â der eigene und jener von anderen â in Erfolg umgemĂŒnzt werden kann.
Die 67. Austragung der Gewerblichen Winterkonferenz des sgv verspricht damit einmal mehr einen spannenden Mix aus aktuellen Informationen und Diskussionen ĂŒber gewerberelevante Themen â und ist damit ein Ort, wo die gezielte Pflege von persönlichen Beziehungen einhergeht mit intensivem Networking und dem direkten Austausch zwischen Wirtschaft und Politik.
Tagesanzeiger-Kolumnist Andreas Pfister eröffnete an der 67. Gewerblichen Winterkonferenz am Donnerstagmorgen den Programmpunkt Bildung mit einem kritischen Blick auf die Berufslehre. In fĂŒnf Thesen verteidigte der Gymnasiallehrer den unter Druck geratenen akademischen Weg. Seiner Meinung nach braucht es mehr Hochqualifizierte. Die Schweiz bilde nur einen Teil ihrer Hochqualifizierten selber aus und mĂŒsse dies kĂŒnftig vermehrt selber tun. Dabei gehe es ihm um die WettbewerbsfĂ€higkeit. Eine FachkrĂ€fte-Initiative solle in erster Linie eine Bildungsoffensive sein. Diese umfasse allerdings sowohl die gymnasiale als auch die BerufsmaturitĂ€t: âEs braucht beides: Sowohl die gymnasiale als auch die berufliche MaturitĂ€tsquote sollten erhöht werden. BerufsmaturitĂ€t und Fachhochschulen haben den dualen Weg zusĂ€tzlich zur höheren Berufsbildung aufgewertetâ, so Pfister. Allerdings dĂŒrfe das Wachstum der BerufsmaturitĂ€t nicht zulasten des Gymnasiums gehen. âBeide können wachsen, unter den Jugendlichen gibt es Potenzial genugâ, sagte Pfister. Die BerufsmaturitĂ€t sei ein starkes Konzept â trotzdem mĂŒssten kritische Fragen erlaubt sein. Zu den grossen Herausforderungen der Berufsbildung zĂ€hlt Pfister nebst dem Strukturwandel hin zum Dienstleistungssektor, der Global-isierung und den damit verbundenen Titelfragen die meist abwertend verstandene Akademisierung. Das Ziel bleibe jedoch Chancengleichheit, korrigierte Pfister seine provokative Haltung gegenĂŒber der Berufslehre: âDie BerufsmaturitĂ€t hat dazu beigetragen, den Graben zwischen Lehre und Gymnasium zu verkleinern. Das ist ein wichtiger Schritt.â
Als Vollblutvertreter der Berufslehre diskutierten Simon HĂ€mmerli, Direktor des Verbands Schweizer Elektro-Installationsfirmen VSEI, sowie der Unternehmer Livio Coduri. FĂŒr HĂ€mmerli gibt es in jedem Beruf hochqualifizierte FachkrĂ€fte. Allerdings mĂŒsse man, um dem Problem der zu wenig qualifizierten Lernenden abzuhelfen, den Weg der BerufsÂprĂŒfung und höheren FachprĂŒfung ebenso bewerben wie einen UniversitĂ€tsabschluss. âWir verlieren zunehmend die Werterhaltung des handwerklichen Aspektes. Dieser sollte in der Grundschule wieder mehr einfliessenâ, forderte HĂ€mmerli. In dieselbe Kerbe schlug Coduri, wenn er die QualitĂ€tsanforderungen erhöhen will, um die Imageprobleme der Berufslehre zu mindern. Dabei verwies er auf Deutschland, das den Beruf des PflĂ€sterers aus Mangel an Interessen abgeschafft hat. âDies hat riesige finanzielle SchĂ€den angerichtet, denn ein Strassenbauer ist kein PflĂ€sterer.â
Christine Davatz, sgv-Vizedirektorin und Bildungsverantwortliche, hob den grossen Stellenwert der höheren Berufsbildung HBB im dualen Berufsbildungssystem hervor. Dabei verwies sie aber auch auf die zahlreichen Lippenbekenntnisse, welche eine effiziente Weiterentwicklung massiv behindern: âDas Ausland bewundert zwar unsere Grundbildung, die ebenso wertvolle HBB ist immer noch unbekannt. Ihre Titel sind kaum verstĂ€ndlich und die bessere Finanzierung ist trotz den lobenden Worten von Bundesrat Schneider-Ammann noch lĂ€ngst nicht gesichert. âDer sgv werde sich auf jeden Fall dafĂŒr einsetzen, dass das neue Finanzierungssystem nicht zu lasten der TrĂ€gerorganisationen respektive der Organisationen der Arbeitswelt OdA gehe, versprach Davatz. âDie Lösungssuche muss schneller angegangen werden als geplantâ, so Davatz. Im Namen der Gleichwertigkeit setze sich der sgv auch weiter fĂŒr die schon so lange geforderten zusĂ€tzlichen 400 Millionen Franken fĂŒr die HBB ein. In der Titelfrage kĂ€mpfe der sgv ebenso weiter: "Wir prĂŒfen zurzeit mit den umliegenden deutschsprachigen LĂ€ndern, ob wir nicht ĂŒber die EU zu den adĂ€quaten Titeln kommenâ, so Davatz.
Am anschliessenden Podium war man sich einig, dass der Nachwuchs kĂŒnftig gut ausgebildet sein mĂŒsse. FĂŒr Josef Widmer, stellvertretender Direktor des Staatssekretariates fĂŒr Bildung, Forschung und Innovation SBFI, hat die Berufslehre eine Zukunft mit viel Potenzial: âAuch wenn sich Berufe im Trend der Digitalisierung verĂ€ndern, können sie sich gut anpassen, gerade weil sie nahe am Arbeitsmarkt sind.â FĂŒr ihn ist allerdings eine gute Berufswahlvorbereitung zentral, gerade um den Mangel nach qualifizierten Lernenden zu beheben. â Ab der 6. Klassen brauchen wir eine gute Berufswahlvorbereitung, damit die SchulabgĂ€nger nach ihrer Eignung und Neigungen am richtigen Ort Karriere machen könnenâ, ist Adrian WĂŒthrich, PrĂ€sident travailesuisse ĂŒberzeugt. Es brauche auch unbedingt Leute aus der Wirtschaft â Unternehmer, welche dem Nachwuchs AttraktivitĂ€t und Möglichkeiten der Berufslehre vorstellten. Hier seien auch die Kantone gefragtâ, so Widmer.
Zum Auftakt der âAuslegeordnung Altersvorsorgeâ prĂ€sentierte der frĂŒhere deutsche FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Uwe SchĂ€ffler einen Blick in die triste RealitĂ€t der deutschen Sozialpolitik. SchĂ€ffler bezeichnete Deutschland als âzutiefst sozialistisches Landâ, das, âbesoffen durch Schweinwohlstandâ, sich immer schneller in Richtung eines staatlich kontrollierten Wirtschaftssystems bewege.
Mit rund 80 Milliarden Euro jĂ€hrlich wĂŒrden Renten von durchschnittlich 800 Euro fĂŒr MĂ€nner und 600 Euro fĂŒr Frauen auf ca. 1300 Euro erhöht. Das Ziel sei, rund 44 Prozent des zuletzt erwirtschafteten Einkommens als Rente auzuzahlen. âTatsĂ€chlich liegt die Zahl tiefer.â
Steuern und Abgaben fressen laut SchĂ€ffler rund 40 Prozent des Einkommens weg. âDas deutsche Steuerrecht diskriminiert das Sparenâ, stellte der GeschĂ€ftsfĂŒhrer der liberalen Berliner Denkfabrik âPrometheusâ fest. SchĂ€ffler plĂ€dierte fĂŒr ein âgerechtes Steuersystemâ, in dem Menschen statt jĂ€hrlich ĂŒber ihre ganze Lebensspanne und ohne Progression besteuert werden sollten. Statt durch Mehrfachbesteuerung das Sparen zu bestrafen, solle der Staat beim Konsum ansetzen, auf Anlagevorschriften verzichten und den Individuen â mit der verbindlichen Vorgabe des Verzichts auf jeglichen spĂ€teren Anspruch auf Sozialdienstgelder â den Entscheid ĂŒberlassen, wann sie in Rente gehen wollten. Jeder Mensch mĂŒsse fĂŒr sich selber definieren, wie sein Kapital erhalten oder vermehrt werden könne, so SchĂ€fflers Vision. Die RealitĂ€t aber sehe anders aus: Indem der Staat â entgegen der Tatsachen â eine niedrige Steuerlast suggeriere, verschleiere er, dass er seine BĂŒrger anhaltend stark schröpfe, um selber nicht sparen zu mĂŒssen.
sgv-Vizedirektor und Sozialversicherungsexperte Kurt Gfeller lenkte den Blick zurĂŒck auf die Schweiz. Hier ist es mehr als 20 Jahre her, seit 1995 zuletzt eine Rentenreform realisiert worden ist. Seither haben sich die Probleme im Schweizer Rentensystem drastisch verschĂ€rft. Die weiterhin stark steigende Lebenserwartung in Kombination mit einer wachsenden Rentnerschar bei rĂŒcklĂ€ufigen Beitragszahlern und dramatisch gesunkenen ZinsertrĂ€gen fĂŒhrten dazu, dass das Kapital der AHV âfrĂŒher der spĂ€terâ aufgebraucht sein werde. Eine Sanierung der ersten SĂ€ule sei daher zwingend, so Gfeller. Mehr Zuwanderung löse das Problem nicht; es werde bloss in die Zukunft verschoben. Mehr Wirtschaftswachstum könne nicht verordnet werden, RentenkĂŒrzungen seien politisch chancenlos und Mehreinnahmen hĂ€tten negative Auswirkungen auf Bevölkerung und Wirtschaft zugleich.
Was also tun? WĂ€hrend der Bundesrat im Rahmen der Altersreform 2020 vor allem auf Mehreinnahmen setzt, verlangt der Schweizerische Gewerbeverband, dass auch eine schrittweise Erhöhung des Rentenalters kein Tabu sein darf. Bei einer allfĂ€lligen Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes auf maximal 0,6 Prozent signalisierte der sgv-Rentenexperte Kompromissbereitschaft, wĂ€hrend er der Forderung nach höheren Lohnprozenten eine kategorische Absage erteilte. Ebenfalls ein âNjetâ gibtâs vom sgv zum Vorschlag aus dem StĂ€nderat nach einer Erhöhung der AHV-Renten um 70 Franken.
In der 2. SĂ€ule plĂ€dierte Gfeller fĂŒr eine Senkung des Umwandlungssatzes von heute 6,8 auf 6 Prozent. Um den heutigen Stand zu halten, wĂ€ren Kapitalrenditen von knapp 5 Prozent nötig â in Zeiten von Negativzinsen ein völlig utopisches Ziel.
Unter der Leitung von Dominik Feusi (Basler Zeitung) diskutierten anschliessend die NationalrĂ€te Thomas de Courten (SVP) und Hans-Ulrich Bigler (FDP/Direktor sgv), NationalrĂ€tin Ruth Humbel (CVP) sowie Gewerkschaftsbund-PrĂ€sident StĂ€nderat Paul Rechsteiner (SP) ĂŒber die Zukunft der Altersvorsorge. Nach einer ausgiebigen Zahlenschlacht um MWSt-und Lohnprozente blieb den Zuhörern in Erinnerung: Es geht um unser Geld! Und um die Frage, wie wir nach dem Ausscheiden aus der Arbeitswelt unsere alten Tage verbringen werden.
Paul Rechsteiner verteidigte die Anhebung der AHV-Renten um 70 Franken; bei einer Anhebung des Rentenalters fĂŒr Frauen und einer Senkung des Umwandlungssatzes in der 2. SĂ€ule komme es andernfalls zu Renteneinbussen, was die Bevölkerung nicht akzeptieren werde. âJede Reform muss die Renten garantieren, sonst ist sie zum Scheitern verurteiltâ, sagte der SGB-Boss.
Ruth Humbel bezeichnete den stĂ€nderĂ€tliche Kompromiss als âgute Ausgangslageâ fĂŒr die Diskussion im Nationalrat. Eine Erhöhung des Rentenalters habe in ihren Augen heute keine Chance, sie solle daher auf eine nĂ€chste Reform verschoben werden.
âSie wollen also diese heisse Polit-Kartoffel an die nĂ€chste Generation weiterreichenâ, kritisierte sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler und skizzierte den vom Gewerbeverband erarbeiteten und von de Courten im Nationalrat eingebrachten Vorschlag: Eine schrittweise Erhöhung â spĂ€ter allenfalls auch eine Senkung â des Rentenalters in AbhĂ€ngigkeit vom Finanzierungsgrad des AHV-Fonds.
âDieses Vorgehen ist sozial vertrĂ€glichâ, sekundierte Thomas de Courten und verlangte gleichzeitig âmehr Ehrlichkeitâ gegenĂŒber den BĂŒrgerinnen und BĂŒrgern. âEine höhere Lebenserwartung heisst auch, dass lĂ€nger gearbeitet werden muss.â ZusĂ€tzliches Geld alleine fĂŒhre nur dazu, dass bestehende Probleme ĂŒberdeckt wĂŒrden. De Courten sprach sich damit auch klar gegen eine Erhöhung der AHV-Renten aus: âDas können wir uns schlicht nicht leisten!â
Auch Bigler stellte klar, dass die VorschlĂ€ge aus dem StĂ€nderat den Interessen des Gewerbes nicht entsprechen. Die einseitige Konzentration auf Mehreinnahmen in der bundesrĂ€tlichen Vorlage sei ebenso abzulehnen. Hingegen sei es durchaus sinnvoll, die Probleme in der AHV und im BVG gemeinsam unter die Lupe zu nehmen. Gefragt seien aber nicht in erster Linie rasche, sondern vor allem nachhaltige Lösungen. Konkret heisse dies: âOhne Anpassungen beim Rentenalter sind auch keine Anpassungen bei der MWSt möglich.â
Der Arbeitsmarkt der Zukunft, der FachkrÀftemangel und die rasch voranschreitende Digitalisierung der (Arbeits-) Welt: Dies die Themen der 67. Gewerblichen Winterkonferenz in Klosters am Freitag.
Professor Andreas Beerli von der KOF ETH ZĂŒrich beleuchtete Chancen und Risiken von Digitalisierung, Globalisierung und Immigration. Katastrophenmeldungen, wie sie in den Medien vermehrt verbreitet werden, empfahl Beerli mit Skepsis zu begegnen. Wie bereits in der in der Industriellen Revolution nicht alle automatisch arbeitslos geworden seien, bestehe auch angesichts der Digitalisierung kein Grund zur Panik.
Entscheidend seien drei Faktoren. Medien legten den Fokus hĂ€ufig einzig auf die Substitution, also die Frage, in welchen TĂ€tigkeiten Menschen von Robotern resp. Computern ersetzt werden könnten. Die Frage nach der KomplementaritĂ€t â wo und wie können Maschinen uns unterstĂŒtzen â und nach den VerĂ€nderungen bei Preisen und Einkommen blieben oft unerwĂ€hnt.
Beerli beobachtet eine Polarisierung bei ErwerbstĂ€tigkeit und Lohnverteilung. Berufe mit einem hohen Grad an Routine werden weniger nachgefragt, wĂ€hrend bei manuellen, tief qualifizierten ArbeitskrĂ€ften eine leichte und bei abstrakten, interaktiven und kreativen TĂ€tigkeiten eine starke Zunahme der Nachfrage zu verzeichnen sei. Eindeutige Verlierer des Einzugs der Computer in der Arbeitswelt ab 1980 seien BĂŒrokrĂ€fte sowie handwerkliche Berufe mit einem hohen Grad an RoutinetĂ€tigkeiten.
Entsprechend werde vor allem bei den niedrig und den hoch Qualifizierten ein Lohnanstieg registriert, wĂ€hrend die Löhne der âVerliererâ nur leicht gestiegen seien. Beerli plĂ€dierte dafĂŒr, komplementĂ€re FĂ€higkeiten wie Problemlösungen, KreativitĂ€t, Kommunikation und Kundenorientierung zu fördern, um die Folgen der Digitalisierung abzufedern.
Der oft beklagte FachkrĂ€ftemangel ist fĂŒr Myra Fischer-Rosinger sowohl RealitĂ€t als auch Mythos. In erster Linie beobachtet die Direktorin des Verbands der Personaldienstleister swissstaffing ein Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt. WĂ€hrend âFortschritts-Verliererâ aus dem Arbeitsmarkt fallen, fehlen der Wirtschaft infolge des Strukturwandels die nötigen Spezialisten. In diesem âMismatchâ ortet Fischer âgesellschaftlichen Sprengstoffâ. Es entstehe ein Misstrauen gegenĂŒber der Wirtschaft. Diese könne Vertrauen zurĂŒck gewinnen, indem sie etwa das InlĂ€nderpotenzial besser ausschöpfe. DafĂŒr mĂŒssten vorhandene und das benötigte Qualifikationen abgeglichen werden.
Fischer warnte aber davor, die hervorragende Wettbewerbsposition der Schweiz zu untergraben, indem der liberale Arbeitsmarkt â Stichworte: Ausbau des KĂŒndigungsschutzes oder der flankierenden Massnahmen (FlaM). â ausgehebelt werde. Vielmehr mĂŒsse verstĂ€rkt in Bildung und Innovation investiert werden.
FĂŒr eine spannende Podiumsdiskussion sorgten unter Leitung von Martina Fehr (Chefredaktorin âSĂŒdostschweizâ) Vania Aleva (PrĂ€sidentin Gewerkschaft unia), Gian-Luca Lardi (Unternehmer und PrĂ€sident Schweizerischer Baumeisterverband SBV), Michel Pernet (PrĂ€sident Verband Kreativwirtschaft Schweiz) und Oliver Rosa, BegrĂŒnder der Swiss Music Awards.
Wenig ĂŒberraschend votierte die Gewerkschafterin Alleva fĂŒr mehr Regulierung, einen Ausbau der FlaM und fĂŒr VerschĂ€rfungen etwa bei der Solidarhaftung im Baugewerbe.
âDie Schweiz ist keine Inselâ, konterte SBV-PrĂ€sident Lardi. Zunehmende Regulierungskosten griffen de KonkurrenzfĂ€higkeit der Schweiz an, und die FlaM dĂŒrften nicht zur Fessel fĂŒr die Bauwirtschaft werden. Trotz der Solidarhaftung, die im ĂŒbrigen einzig und alleine fĂŒr das Baugewerbe gelte, zeige die Unia weiterhin stĂ€ndig auf âden Bauâ â mit dem Zweck, immer neue Regulierungen zu verlangen.
Lardi wehrte sich dagegen, angesichts der immer schneller voranschreitenden VerĂ€nderungen der Arbeitswelt âimmer engere Korsetts zu schnĂŒrenâ und verlangte stattdessen mehr FlexibilitĂ€t, mehr Selbstverantwortung und eine stĂ€ndige Bereitschaft zur Aus-, Weiter- oder Umbildung: âNur so kann die Schweiz international wettbewerbsfĂ€hig bleiben.â
FĂŒr mehr FlexibilitĂ€t und weniger Regulierung sprach sich auch Kreativwirtschafter Pernet aus. Statt aber die Risiken der Digitalisierung zu fĂŒrchten, solle sich die Schweiz auf ihre StĂ€rken besinnen. âDie weltweit am hĂ€ufigsten benutzten Schriften âHelveticaâ und âFrutigerâ wurden in der Schweiz kreiertâ, sagte Pernet und forderte, dass sowohl Arbeitnehmer wie auch Arbeitgeber die anstehenden VerĂ€nderungen annehmen und sich der Tatsache stellen mĂŒssten, dass der Begriff âArbeitâ als solcher daran sei, seine Bedeutung zu verĂ€ndern. âAngestellt seinâ könne bald der Vergangenheit angehören. Anstelle von âStelleâ und âFirmaâ trete die Identifikation mit der Arbeit: âSpass und Sinn werden wichtiger als der Lohnâ, gab sich Pernet ĂŒberzeugt.
âIn der Musikindustrie ist die Digitalisierung nicht bloss eine Chance, sondern RealitĂ€t â und das seit 20 Jahrenâ, stellte Rosa fest.
Angesichts der Diskussionen um die Arbeitszeiterfassung oder uralten Begriffen wie âĂberzeitâ frage er sich, ob Gewerkschaften und Arbeitgeber âsich der riesigen Herausforderungen tatsĂ€chlich bewusst sind, die uns allen bevorstehenâ. Arbeitnehmende mĂŒssten nicht vor der Digitalisierung geschĂŒtzt, sondern vielmehr befĂ€higt werden, damit umzugehen. âSowohl Arbeitnehmer wie auch Arbeitgeber stehen in der Pflicht, sich gemeinsam dem rasant fortschreitenden Wandel anzupassen.â Pernet und Rosa sind sich einig: Politik, Gewerkschaften und VerbĂ€nde mĂŒssen sehr viel schneller als heute die nötigen Anpassungen vornehmen, soll die Schweiz im internationalen Vergleich nicht in RĂŒckstand geraten.
Die 67. Gewerbliche Winterkonferenz im mittlerweile tief verschneiten Klosters findet mit einem Referat des BegrĂŒnders des bekannten Kieser-Trainings einen wĂŒrdigen Abschluss. Werner Kieser schliesst so mit seiner Unternehmensgeschichte sowie Tipps fĂŒr ein rĂŒstiges Alter das diesjĂ€hrige Tagungsthema âDie alternde Gesellschaft â und ihre Folgenâ ab.Kurz und intensivVor 49 Jahren startete der heute 76-jĂ€hrige Werner Kieser mit seinem Krafttrainingssystem â Fitnessstudios waren damals eine Ausnahme und Trends wie Zumba oder Spinnig Fremdwörter. Aufgewachsen ist der Fitness-Guru im aargauischen Lenzburg. Wie sein Vater liess er sich zum Schreiner ausbilden. In seiner Jugend ĂŒbte er sich als Boxer. Eine Rippenfellquetschung brachte ihn dann zum Krafttraining und zur Idee, ein eigenes Kraftstudio aufzubauen. 1981 folgten weitere Studios auf Franchise-Basis und der Aufbau seines Imperiums kam ins Rollen.1990 wurde sein erster Betrieb in Deutschland gegrĂŒndet, mittlerweile finden sich Kieser-Trainings in zahlreich anderen LĂ€ndern.
âTrainieren macht keinen Spass, aber glĂŒcklichâ, ist der Unternehmer ĂŒberzeugt und âes muss kurz und intensiv seinâ. Diese Ansicht vertrete er schon seit ĂŒber 40 Jahren. Ebenso ist laut Kieser weniger mehr: âEs wird zu viel trainiert. âDas Training fĂŒhre nicht nur zu einem stĂ€rken RĂŒcken und einer besseren, stabileren Gesundheit, sondern verĂ€ndere die Menschen. âAuf einmal machen sie Sachen, die sie schon lange einmal machen wolltenâ, stellte Kieser fest.
Mit einem herzlichen Schlusswort verabschiedete der Freiburger SVP-Nationalrat und sgv-PrÀsident Jean-François Rime die zahlreichen GÀste und beendete den offiziellen Teil der diesjÀhrigen Winterkonferenz. Mit einer Bergfahrt auf den Hausberg Madrisa klang der Abend bei einem feinen Nachtessen sowie der Möglichkeit zum Netzwerken und Diskutieren aus.